"Wer nicht fragt bleibt dumm" - Alte Leipziger distanziert sich von Entscheidung des LG Heidelberg zur spontanen Anzeigepflicht

Spontane Anzeigepflicht BU-Versicherung
© Borchardt

Wir hatten zu dem in den letzten Tagen viel diskutierten Thema "spontane Anzeigepflicht" gefragt: "Wo bleiben die Reaktionen der BU-Versicherer?". Der Versicherungsmakler Helberg hatte die Diskussion um das Urteil des LG Heidelberg in seinem Blog angestoßen und angeregt, jeder Makler solle bei den Versicherern anfragen, wie diese sich zu der spontanen Anzeigepflicht, positionieren.

Wir halten Helbergs Anliegen für völlig richtig und unterstützen dieses ausdrücklich. Seinem Aufruf sind wir gefolgt und haben einige Gesellschaften um Stellungnahme gebeten. Eine prompte Antwort erhielten wir heute von der Alte Leipziger. Die Alte Leipziger hatte zuletzt 2013 die Sonderaktion "BU für 3" mit vereinfachten Gesundheitsfragen angeboten. Die Problematik der "spontanen Anzeigepflicht" ist besonders bei den Aktionen mit vereinfachter Gesundheitsprüfung relevant.

 

Da die Stellungnahme der Alte Leipziger die Problematik der "spontanen Anzeigepflicht", so wie diese vom LG Heidelberg verstanden wird und die juristischen Zusammenhänge nochmals gut verständlich darstellt, geben wir die Stellungsnahme hier im vollen Wortlaut wieder:

 

"Wir halten die Entscheidung des LG Heidelberg mit der gegebenen Begründung für fragwürdig, wir hätten den Fall so nicht entschieden und würden uns in einer vergleichbaren Situation auf diese Entscheidung nicht beziehen. Ich bin mir sicher, dass in der zweiten Instanz das Urteil mit dieser Begründung keinen Bestand haben wird.

Wir halten vielmehr die vom OLG Celle (Urteil vom 9.11.2015 8 U 10/15, ZfS 2016, 270) zu diesem Punkt -Anfechtung und spontane Anzeigepflichtverletzung- vertretene Auffassung für zutreffend. Diese Auffassung wird auch von namhaften Richtern und Professoren (Rixecker ZfS 2017, 277, Schimikowski Anmerkung zum Urteil des LG Heidelberg jurisPR-VersR 1/2017) vertreten, dazu gleich.

 

Urteil des LG Heidelberg vom 8.11.2016, 2 O 90/16 (nicht rechtskräftig):

 

In dem Urteil des LG Heidelberg geht es um die Anfechtung des VR bei spontaner Anzeigepflicht.

 

Das heißt, muß der VN gefahrerhebliche Umstände offenbaren, auch wenn er nicht danach gefragt wird ? Und kann der VR dann anfechten, wenn derartige Umstände verschwiegen werden ?

 

Das LG Heidelberg nimmt eine solche spontane Anzeigepflicht des VN mit Anfechtungsmöglichkeiten des VR schon dann an, wenn dieser erkennt, dass es bei der nicht erfragten, aber bei ihm vorliegenden, Krankheit um eine solche handelt, die für den Abschluß des Vertrags durch den VR von Bedeutung ist. Konkret ging es um eine MS-Erkrankung, die der VR in seinem Kurzantrag (HIV, Krebs, Psyche, Diabetes + volle Berufsfähigkeit) nicht erfragt hatte.

 

Mit dieser Begründung könnte der VR faktisch jede im Kurzantrag nicht erfragte, aber vom VN als gefahrerheblich erkannte Erkrankung, nachträglich im Leistungsfall sanktionieren.

 

Das ist zu weitgehend.

 

1. Nach Einführung des neuen VVG ging man zunächst davon aus, dass es wegen des Textformerfordernisses aus § 19 Abs. 1 VVG keine spontane Anzeigepflicht des VN (Angabe spontan, ohne dass gefragt wird) mehr gibt, „wer nicht fragt, bleibt dumm“.

 

2. Mittlerweile geht jedoch die herrschende Auffassung davon aus, dass eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung grs. möglich ist, wenn der VN Umstände verschwiegen hat, nach denen nicht ausdrücklich gefragt ist (Prölss Martin 29. A., § 22, 3 u.a.).

 

Das OLG Celle, ZfS 2016, 270 (ähnlich wie OLG Karlsruhe Urteil vom 3.12.2015, 12 U 57/15) vertritt dazu eine sehr vernünftige Auffassung, die wir für zutreffend halten:

 

Danach ergibt sich aus Treu und Glauben eine weitere Aufklärungspflicht des VN über § 19 Abs. 1 VVG hinaus für nicht erfragte Umstände, dies jedoch nur bei Umständen, die zwar offensichtlich gefahrerheblich sind, aber so ungewöhnlich, dass eine konkrete Frage danach nicht erwartet werden kann.

Das kann z.B. bei besonders seltenen oder erst kürzlich erforschten Krankheiten der Fall sein, von denen nicht erwartet werden kann, dass der VR sie bereits in seinen Fragenkatalog aufgenommen hat.

 

3. Ansonsten muss der VN und auch der VM davon ausgehen können, dass das, was der VR in seinen Fragen wissen will, abschließend ist und ihn weitere Dinge nicht interessieren.

Bei einer verschwiegenen MS-Erkrankung wird man wohl nicht von einer solch ungewöhnlichen Erkrankung ausgehen können, auch das OLG Celle ging bei Verschweigen einer Entwicklungsverzögerung eines Kindes nicht von einem „so ungewöhnlichen Umstand“ aus. Erst recht wird man das nicht von einem Diabetes annehmen können.

 

4. Selbst wenn man nach Vorstehendem eine Aufklärungspflicht nach Treu und Glauben annimmt, ist eine Arglist des VN in solchen Fällen schwer beweisbar. Denn in der Regel wird das Vertrauen des VN darauf, dass in den Fragen abschließend gefragt wird, einem Arglistvorwurf entgegenstehen.

 

Etwas anderes gilt dann, wenn die Erkrankung derart ungewöhnlich ist, dass sich dem VN aufdrängen mußte, dass der VR bei Erstellung des Fragenkatalogs nicht an die Möglichkeit einer solchen Erkrankung gedacht hat.

 

Das wird man nur in ganz seltenen Fällen annehmen können, so dass sich die Anfechtungsmöglichkeiten in solchen Fällen auf ganz wenige Fälle reduzieren werden.

 

Fazit:

 

Einen generellen Verzicht auf Sanktionen bei spontaner Anzeigepflicht wollen wir nicht aussprechen, allerdings halten wir es mit dem OLG Celle, indem wir die Anwendung auf ganz besonders ungewöhnliche Fälle beschränken."

 

Ergänzend zu dieser Stellungnahme hieß es von der Alte Leipziger, man sei fest davon überzeugt, dass das Urteil des LG Heidelberg keinen Bestand haben wird und in 2. Instanz (OLG Karlsruhe) aufgehoben werden wird.

 

Das hoffen wir auch.

 

Update 15.11.2017:

 

Stellungnahmen liegen bis heute von diesen Versicherern vor:

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