Spontane Anzeigepflicht: Wo bleiben die Reaktionen der Versicherer?

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Der Kollege Helberg hat sich wieder einmal einem ganz wichtigen Thema gewidmet. Es gibt offenbar einige Versicherer, die mit Bezug auf ein Urteil des LG Heidelberg eine spontane Anzeigepflicht nutzen wollen, um Leistungsansprüche aus der Berufsunfähigkeitsversicherung zurückzuweisen.

Seit der Reform des VVG ist klar: Vor Vertragsschluss muss der Versicherungsnehmer die risikorelevanten Umstände angeben, nach denen der Versicherer in Textform gefragt hat.

 

Nicht weniger, aber eben auch nicht mehr.

 

So steht es eindeutig im Versicherungsvertragsgesetz:

 

"Der Versicherungsnehmer hat bis zur Abgabe seiner Vertragserklärung die ihm bekannten Gefahrumstände, die für den Entschluss des Versicherers, den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt zu schließen, erheblich sind UND nach denen der Versicherer in Textform gefragt hat, dem Versicherer anzuzeigen"

 

Dieses „aber eben auch nicht mehr“ wird nun angezweifelt.

 

Helberg hat einen Fall in seinem eigenen Kundenkreis, bei dem ein Versicherer die BU-Rente mit Hinweis auf eine spontane Anzeigepflicht zurückweist. Nach Veröffentlichung seines Artikels habe es weitere Betroffene gegeben, die sich bei ihm gemeldet haben.

 

Mehrere Online-Publikationen greifen Helbergs Thema auf.

 

So schreibt der Versicherungsbote:

 

„Mit Hilfe einer "spontanen Anzeigepflicht" wollen einzelne Berufsunfähigkeits-Versicherer das Versicherungsvertragsrecht zum Nachteil der Verbraucher umformulieren. So lautet der Vorwurf von Versicherungsmakler Matthias Helberg, der aktuell mit mehreren derartigen Fällen konfrontiert wurde. Vereinfacht geht es darum, dass die Versicherer auch dann wegen arglistiger Täuschung vom Vertrag zurücktreten können, wenn der Versicherte an einer Vorerkrankung litt, die bei den Gesundheitsfragen gar nicht abgefragt wurde: der Verbraucher also alle Fragen korrekt beantwortet hat.“

 

Auch Pfefferminzia.de und das Investment besprechen das Thema „spontane Anzeigepflicht“ ausführlich.

 

Makler Dietrich kommentiert Helbergs Artikel auf Pro und Contra:

 

„Die Änderungen des VVG sind in Bezug auf Gesundheitsfragen und unter Berücksichtigung der Rechtsprechung nicht abschließend. Das kann so nicht sein oder bleiben. Klarheit sollte nicht nur in den Versicherungsbedingungen herrschen, sondern auch der Weg, Versicherungsschutz zu beantragen, sollte nachvollziehbar sein. Eindeutig.“

Fundamentales Thema: Vertrauen

Wie kann ein Versicherungskunde einem Versicherer eigentlich noch trauen, wenn dieser ihm vor Vertragsschluss bestimmte Bedingungen zur vorvertraglichen Anzeigepflicht mitteilt, der Kunde sich an diese Bedingungen exakt hält und der Versicherer im Leistungsfall dann die „spontane Anzeigepflicht“ und „Treu und Glauben“ aus dem Hut zaubert?

 

Können wir und die Kunden auf das vertrauen, was der Versicherer vor Vertragsschluss sagt? Bei welchen Versicherern müssen wir mit Überraschungen im Leistungsfall rechnen?

 

Die PR-Abteilungen der Versicherer müssten eigentlich in heller Aufregung sein.

 

Doch bisher: Nichts zu sehen und nichts zu hören.

Lösungsvorschläge

Jahrelang haben die Versicherungsgesellschaften Ihre BU-Bedingungen immer weiter verbessert. Verzicht auf die abstrakte Verweisung, AU-Klausel und vieles mehr. Der Nutzen einiger Klauseln für den Verbraucher ist allerdings fraglich, Beispiel Infektionsklausel. Mit dem Thema „spontane Anzeigepflicht“ haben wir nun eine überaus streitanfällige Lage. Hier besteht Handlungsbedarf hinsichtlich einer Änderung und Klarstellung in den BU-Bedingungen.

 

Das Urteil des LG Heidelberg wird zu vermehrten Streitigkeiten zwischen Versicherungskunde und BU-Versicherer führen. Die Versicherungen müssten, um das Vertrauen der Kunden zurück zu gewinnen, in ihren BU-Bedingungen einen Verzicht auf die Anfechtung des Vertrages wegen einer spontanen Anzeigepflichtverletzung einführen. Auch eine Klarstellung in den Bedingungen, dass der Versicherungsnehmer nur die Umstände anzeigen muss, nach denen gefragt wurde und dass der Fragekatalog des Versicherers abschließend zu verstehen ist, wäre dringend erforderlich. Fehlt dieser Verzicht und sollte sich die Rechtsauffassung des LG Heidelberg durchsetzen, dann wird es in vielen Fällen so sein, dass das Risiko, einzuschätzen, welcher Umstand gefahrerheblich ist und welcher nicht, der Versicherungskunde trägt. Und das, obwohl es die Intention der VVG-Reform war, dieses Risiko eben nicht dem Versicherungskunden aufzubürden.

BU-Qualitätskriterien müssen angepasst werden

Auch die Ratingunternehmen und Hersteller von Analysetools wie Franke Bornberg, Morgen und Morgen, Levelnine etc. sollten als Leistungskriterium den „Verzicht auf die Anfechtung wegen einer Verletzung der spontanen Anzeigepflicht“ aufnehmen. Versicherungsgesellschaften, die diesen Verzicht bedingungsseitig nicht erklären, können in Zukunft nicht mehr für sich beanspruchen, eine Premium-Berufsunfähigkeitsversicherung anzubieten.

 

Der Artikel ist mit kleinen Änderungen auch im Versicherungsmagazin Pfefferminzia erschienen:

„Spontane Anzeigepflicht“ Wo bleiben die Reaktionen der BU-Versicherer?, Pfefferminzia vom 22.10.2017

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